Wie sich Eugene Ionescu unsere Heirat vorgestellt hat und sie dann von Kafka inszeniert wurde. Mein Mann und ich feiern heuer unseren Hunderter. Gemeinsam. Und nachdem wir gemeinsam mindestens auch den Zweihunderter feiern wollen, hatten wir beschlossen zu heiraten. einfach, weil wir uns wichtig sind und weil es uns wichtig ist.
Wir hatten beschlossen, diesen Akt der Dokumentation unserer Verbundenheit nur für uns allein zu vollziehen. Ohne große Zeremonie, ohne Brimborium, einfach ein schöner Tag nur für uns allein. Eine kleine Unterschrift und alles ist unter Dach und Fach. Ein Tag in Jeans, mit einem Stück Sachertorte, einem Besuch in unserem Lieblingslokal und viel Spaß.
Diesen Spaß sollten wir auch haben. Allerdings ein wenig anders, als wir uns das vorgestellt hatten.
Standesamtliche Trauung ohne viel Aufhebens
Aus meinem Bekanntenkreis wusste ich, dass sowohl in meiner Heimatstadt Villach als auch in Wien standesamtliche Trauungen ohne großes Aufhebens möglich sind. Das mittelalterlich anmutende Aufgebot samt zugehöriger Bestellungsfrist war schon vor geraumer Zeit aus dem Gesetz verschwunden und wenn alle notwendigen Dokumente vorliegen, ist eine standesamtliche Heirat eine Sache von ein paar Minuten. Eine formlose Unterschrift. Die Bedeutung der Eheschließung muss ohnehin jedes Paar für sich ausmachen und der tiefe Sinn dieses Bündnisses liegt sicher nicht in der Ansprache eines Beamten.
Was in einer Kleinstadt wie Villach möglich ist, sollte doch in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs mit zugehörigem, überbordendem städtischen Selbstbewusstsein, mit Leichtigkeit gangbar sein. Wir sind also frohen Mutes, bewaffnet mit den einschlägigen Dokumenten samt vorheriger Erkundigungen, was alles an zusätzlich an Unterlagen zu beschaffen sei und was bereits elektronisch von Big Brother Staat über uns gesammelt ist und demzufolge durch jede Behörde in Österreich online abfragbar ist, eines Montags in das Standesamt Graz gepilgert.
Der Aufzug hat uns nicht nur in das dritte Stockwerk des Amtshauses in der Grazer Innenstadt, sondern mitten in eine Absurdität kafkaesken Ausmaßes befördert, die selbst Eugene Ionescu erschaudern hätte lassen.
Das Ausfüllen des mehrseitigen Datenblattes samt Ziehens einer Nummer im Infopoint – die modern klingende Bezeichnung soll wohl die Bürger in einen trügerischen Hoffnungszustand versetzen – absolvierten wir noch ohne das Auslösen von Tretminen. Nummer E306 – wie wir anfänglich dachten, unsere Glücksnummer. Kein lebensbedrohlicher Zusatzstoff von irgendwas, sondern E wie Eheschließung oder E wie eh logisch. Zu diesem Zeitpunkt noch.
Völlig allein warteten wir an einem kleinen Tischchen in einem langen Flur. Am, oberhalb unserer Köpfen angebrachten, Bildschirm ratterten S-, U- und auch E-Nummern über die blaue Fläche. Allein es tat sich genau nichts. Niemand betrat oder verließ eines der angegeben Zimmer. Wer hatte all diese Nummern?
Zimmer 327 im Standesamt
Und dann – nach etwa fünfzehn Minuten des Verharrens in der Parallelwelt – erschien endlich E306 am Schirm und wir wurden angewiesen, das Zimmer mit der Nummer 327 zu betreten, was wir nach höflichem Anklopfen auch taten.
Der Raum war dominiert von zwei übergroßen Bildschirmen, die von einer Standesbeamtin überwacht wurden, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit Hermine Granger, wie man sie sich im Alter von 40 Jahren vorstellen könnte, hatte. Unser „Guten Morgen“ wurde nicht beantwortet, stattdessen wurden uns mit einer beiläufigen Handbewegung die zwei Sessel an der Rückseite der Bildschirme zugewiesen. Uns war in diesem Moment schon klar, dass wir hier stören. Auf den fragenden Blick der Standesbeamtin haben wir ein wenig verunsichert „Wir würden gerne heiraten“ geantwortet, was von ihr mit einem schnippischen „Ahso“ quittiert wurde. Es ist zugegebenermaßen auch wirklich skurril, in den Räumen des Standesamtes, nach Vorlage der E-Nummer, tatsächlich das Ansinnen zu haben, heiraten zu wollen.
„Unterlagen!“ Dieser etwas harschen Aufforderung kam zuerst ich nach, da mein Mann den noch ungünstigeren Platz hinter den Bildschirmen eingenommen und die Beamtin gar nicht sehen konnte. Sie würdigte die von mir vorgelegten Dokumente eines oberflächlichen Blickes, um dann sofort die vernichtenden Worte „Da fehlt der Stempel“ messerscharf in den Raum zu stellen. Mir war zuerst gar nicht klar, welcher Stempel irgendwo fehlen könnte, da ich ausschließlich offiziell von österreichischen Behörden ausgestellte Dokumente vorgelegt hatte. Der bedrohlich klopfende Zeigefinger verdeutlichte mir schließlich, dass sie den Beschluss über die einvernehmliche Auflösung meiner ersten Ehe meinte, welchem sie durch beharrliches Klopfen auf die Stelle des vermeintlich fehlenden Stempels, die Rechtskraft abzusprechen versuchte. In einem trügerischen Anflug von Erleichterung und dem groben Irrtum, das Missverständnis schnellstens aufklären zu können, wollte ich Hermine Granger auf die Rückseite des Dokumentes hinweisen, wo sich der Stempel in Form einer elektronischen Ausfertigung im Sinne des § 79 Gerichtsorganisationsgesetz befindet. Dieses Gesetz scheint jedoch von Hermine Granger kurzerhand außer Kraft gesetzt worden zu sein. Erbost über die Dreistigkeit meiner Aufklärung schmetterte sie mir „Das ist doch kein Stempel“, gefolgt von den Worten „Das ist ein Stempel!“ entgegen und untermauerte den zweiten Satz mit erneutem Zeigefingergetrommle, diesmal auf eine knallrote Plastik-Einschubhülle, welche sie mir während des Trommelns bedrohlich unter die Nase hielt.
In naivem Glauben an meine juristische Ausbildung und daran, dass eine Beamtin des Standesamtes Graz ebenso gewisse juristische Grundkenntnisse haben sollte, ließ ich mich vom Zeigefingergetrommle nicht einschüchtern und versuchte abermals das Missverständnis aufzuklären. Das war jedoch offenbar der völlig falsche Ansatz. Sie meinte nur schnippisch, dass dieser Wisch völlig ohne Belang sei und ich mir doch gefälligst in Wien einen ihr genehmen Stempel holen solle. In Graz sei dies eben so und desserhalben habe dieser Stempel gefälligst vorne oben links und nicht hinten unten mittig angebracht zu sein und elektronisch geht schon zweimal nicht. Diese konsequente Verweigerung des Anerkennens einer gesetzlich vorgesehenen, digitalisierten Ausfertigung drängte in mir – und wie er mir später sagte, auch in meinem Mann – die Frage auf, was die gute Dame den lieben langen Tag mit ihren zwei Megabildschirmen macht, wenn sie die Errungenschaften der digitalen Welt so vehement ablehnt. Und meine Contenance erreichte den Rand der Erschöpfung.
Mein Mann, der dieses Spektakel bis zu diesem Zeitpunkt sehr gefasst beobachtet hatte, wurden nun langsam ebenfalls unruhig. Er versuchte die Standesbeamtin dahingehend aufzuklären, dass elektronische Behördenvermerke im Bauwesen schon seit vielen Jahren gang und gäbe und überhaupt nichts Böses sind. Na, mehr brauchst nicht! Hermine Granger wittert auf jedem Papierl was Böses und ohne Stempel ist prinzipiell alles böse und wird von ihr gnadenlos vernichtet. Und weit und breit kein Harry Potter, der uns zu Hilfe eilen könnte. Wobei ich in dieser Sekunde aber auch die Hilfe von Lord Voldemort mit tausend Rosen angenommen hätte.
Doch damit nicht genug des Gefangenseins in dieser kafkaesken Parallelwelt. Der Gipfel der Absurdität war bei Weitem noch nicht erreicht.
Ehefähigkeit muss festgestellt werden!
Die Standesbeamtin wies uns nochmals streng zurecht, dass wir den – von ihr so leidenschaftlich betrommelten – Stempel in Wien besorgen sollten, weil wir ohnehin genug Zeit hätten. Bevor wir die Eheschließung durchführen können, müsste nämlich ohnehin erst noch unsere Ehefähigheit festgestellt werden und einen Termin dafür gäbe es erst frühestens in zwei Monaten. Immerhin hätte sie noch sechzig Fälle abzuarbeiten, bevor sie sich unserer Ehefähigkeit widmen könne.
Mit diesen Zeitangaben erreichte zwar das absurde Schauspiel noch nicht seinen Höhepunkt, die Grenzen unserer Fassung waren jedoch spätestens hier überschritten. Wir wandten – zugegebenermaßen schon etwas gereizt – ein, dass wir keine Zeremonie im Trauungssaal wünschten, sondern vielmehr nur die ganz schlichte Form der Urkundenausfertigung – ob mit oder ohne Stempel – samt Leistung unserer Unterschriften. Keine Ansprache, keine Trauzeugen, kein Theater.
Dies nahm der Hüterin des Stempels ein wenig den Wind aus dem üppig geblähten Zeitsegel. Sie fasste sich jedoch schnell wieder und durchkreuzte dieses Manöver damit, dass sie neuerlich darauf hinwies, dass unsere Ehefähigkeit ja noch nicht festgestellt sei. Mir entfuhr ein genervtes „Dann tun sie das doch endlich!“.
Statt irgendeine Amtshandlung vorzunehmen, griff sie zum Telefonhörer. In mir keimte neuerlich ein zartes Pflänzchen der Hoffnung auf, dass sie vielleicht doch gewillt sei, irgendwas zu tun und sich bezüglich des elektronischen Rechtskraftvermerkes bei einem Kollegen oder einer Kollegin rückversichern möchte. Jedoch weit gefehlt.
Eine zweite Beamtin betrat das Zimmer. Weder begrüßte sie uns, noch stellte die sich vor.
Von Hermine Granger wurde sie mit den despektierlichen Worten „De do …“ in unser Anliegen eingeweiht. Wir hatten also – um in der Sprache Kafkas zu bleiben, die offenbar das Beamtentum immer noch sehr treffend skizziert – die Rolle der literarisch berühmten Küchenschabe zugewiesen bekommen. Die beiden Damen waren auch gemeinsam nicht daran interessiert, eine Lösung dieses gar nicht vorhandenen Problems herbeizuführen. Vielmehr versuchten sie nun gemeinsam, die Feststellung unserer Ehefähigkeit innert halbwegs angemessener Zeit, zu verweigern.
Die herbeigeeilte Sekundantin vermeinte noch damit, uns in das uns zustehende Abseits stellen zu können, indem sie das Stempelproblem wieder aufgriff und die materielle Rechtskraft des elektronischen Vermerkes anzweifelte. Ohne auf diese neuerliche juristische Absurdität hier eingehen zu wollen, habe ich – wie zu vermuten – völlig erfolglos versucht, ihr zu erklären, was materielle Rechtskraft überhaupt sei. Sie schien jedoch an diesem Begriff solchen Gefallen zu haben, dass sie ihn nicht mehr los ließ.
Zu dem doch etwas schlüpfrig anmutenden Aktes der Feststellung der Ehefähigkeit ist zu erklären, dass dies ein relativ schlichter Rechtsakt ist, der nichts anderes zum Inhalt hat, als die Feststellung, dass bei den zukünftigen Ehegatten kein Ehehindernis vorliegt. Ein solches könnte das Nichterreichen des Ehemündigkeitsalters, die nichtvorhandene Geschäftsfähigkeit zumindest eines der beiden Ehegatten, die direkte Blutsverwandschaft oder eine bereits bestehende aufrechte Ehe sein.
Mein zukünftiger Mann und ich sind 51 bzw 49 Jahre alt, daraus sollte – unter Vorlage von Geburtsurkunde und Ausweis – hinlänglich ersichtlich sein, dass wir das Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren nicht nur erreicht, sondern um ein Vielfaches überschritten haben. Und da weder er noch ich besachwaltert sind, dies darüberhinaus einer gültigen Eheschließung nichteinmal entgegenstünde, ist die Feststellung unserer Ehefähigkeit – samt obligatorischer Niederschrift dieser Feststellung – eine Sache von wenigen Minuten. Zudem sich der Ausschluss der direkten Blutsverwandschaft ebenso leicht feststellen ließe, wenn Hermine G. bereit wäre, einen ihrer Bildschirme sinnvoll zu benutzen und eine Familienbuchabfrage durchzuführen, wie dies seit einigen Monaten online in ganz Österreich möglich ist. Für schlichtere Gemüter kann man auch sagen, dass die Feststellung der Ehefähigkeit nichts anderes ist, als eine etwas amtlich verbrämte Datenaufnahme. Damit halt die Theresianische Kanzleiordnung in Zeiten elektronischer Datenerfassung und millisekundenschneller Abfragemöglichkeiten nicht ganz in Vergessenheit gerät.
Nun wurde mir schlagartig klar, dass elektronische Behördenerledigungen zwar in St. Veit am Frostaufbruch und Gigritzpatschen binnen kürzester Zeit, jedoch nicht in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, möglich sind. Erzherzog Johann, der hier so allgegenwärtig ist, dass sogar die Stationsansagen in den Verkehrsmitteln der Grazer Linien mit den ersten Takten des Erzherzog-Johann-Jodlers eingeleitet werden, müsste im Grabe rotieren, ob dieser beamteten Antiquiertheit.
Dachte ich anfangs noch, dass die herbeigeeilte zweite Beamtin unseren Stempel-Ehefähigkeits-Knoten in alexandrinischer Leichtigkeit durchschlagen würde, verdichtete sie jedoch gemeinsam mit Hermine G. dieses Gebilde zu einem Kunstwerk, welches nichteinmal mehr Houdini aufzulösen vermocht hätte.
Gemeinsam schleuderten uns die beiden Beamtinnen die Worte „Stempel“, „Ehefähigkeit“, „Wartefrist“ und „materielle Rechtskraft“ in einer Intensität um die Ohren, dass uns schwindlig wurde. Nach dem die Zweifel an unserer Ehefähigkeit – welche jedoch bis zu diesem Moment nicht einmal versucht wurde zu erheben – zum gefühlt siebzehnten Mal in den Raum gestellt wurde, platzte mir endgültig der Kragen und ich fragte Hermine G. und ihre Sekundantin, ob mein Mann und ich diese „Ehefähigkeit“ unmittelbar vor ihren Augen in den Amtsräumen unter Beweis stellen sollen.
Wir nahmen wohl oder übel die Sinnlosigkeit unseres Ansinnens zur Kenntnis und haben diesem Spektakel ein Ende bereitet, indem wir wortlos unsere Dokumente zusammenpackten und die Parallelwelt des Zimmers 327 verließen.
Wir fanden uns an dem kleinen Tischchen in dem langen Flur wieder. Fünfundvierzig Minuten nachdem wir freudig aufgeregt das Zimmer Nr. 327 mit der Nummer E306 in der Hand betreten hatten. Die Freude war einer ganz schlimmen Ernüchterung und Wut gewichen. E306 hatte sich doch als hochgiftig erwiesen. In diesen fünfundvierzig Minuten hätten wir – bei halbwegs vernünftiger Amtsbehandlung – schon dreimal verheiratet sein können.
Unser erster Impuls war ein klassisches Scheißdrauf. Andere Paare leben ohne Trauschein auch glücklich und zufrieden zusammen. Der Scheißdrauf-Moment war aber nur ein sehr kurzer. Nie und nimmer würden wir uns etwas nehmen lassen, was uns wichtig ist und worauf wir sogar ein Recht haben.
Wir haben bis heute keine Ahnung, welche Laus den Beamtinnen des Standesamtes Graz an diesem legendären Montag über die Leber gelaufen ist. Mittlerweile und nach gutem Ausgang können wir sogar herzhaft über diese Episode lachen. Und unser Hochzeitstag, der 29. Februar, hat den unschätzbaren Vorteil, dass wir nur alle vier Jahre an Hermine G. und ihre Spießgesellen erinnert werden.
Jeder Stempel hat jedoch nach wie vor das Potential, leichte Aggressionen in mir auszulösen …
Die Autorin Susanne Drothler über sich: Vor ungefähr eineinhalb Jahren hat es mich nach Graz verschlagen, der Liebe wegen. Ich denke, es könnte schlimmere Gründe für einen Ortswechsel geben. Und mittlerweile, ist es nicht nur die Liebe zu meinem Mann, sondern auch die Liebe zu dieser Stadt, die das Leben hier für mich so besonders lebenswert macht. Ich lerne die Stadt jeden Tag ein bisschen mehr kennen und dabei kommt mir auch die eine oder andere Begebenheit unter, die mit den Charme dieser Stadt ausmacht. Berührende Momente und solche zum Schmunzeln, die ich festhalten möchte, »Grazer Miniaturen« sozusagen.