Ich bin Migrantin. Strenggenommen sogar eine Migrantin der ganz üblen Sorte, nämlich ein Wirtschaftsflüchtling.
Im Herbst 1985, nach sehr erfolgreich bestandener Matura, hab‘ ich das sichere Nest meines Villacher Elternhauses verlassen und bin nach Wien gezogen. Und damit bin ich, nach derzeit übelst beleumundeter Diktion, zum Wirtschaftsflüchtling geworden. Aufgrund nicht vorhandener Studienmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe meines Heimatortes, bin ich mit Sack, Pack und emailliertem Nudelsieb nach Wien übersiedelt. Und bin dort für nahezu dreißig Jahre geblieben.
Liabe KärntnerInnen in Wien
Anfänglich war noch keine Rede von „do“ und „durt“ und als Kärntnerin, die sich aufgrund der Verwendung des entsprechenden Idioms, als solche zu erkennen gab, wurde ich herzlichst empfangen. KärntnerInnen galten automatisch als „liab“. Eine gewisse Anmutung der Dämlichkeit schwang unterschwellig immer mit, aber das war nicht weiter störend und Tat der Herzlichkeit des Empfanges keinen Abbruch.
Diese Stimmung änderte sich mit Beginn und insbesondere mit Fortdauer des unrühmlichen Kapitels „Haider“ schlagartig. Plötzlich bekam man als KärntnerIn den Stempel „nationalistisch“ auf’s Hirn. Und ich gebe zu, dass ich mich während der letzten fünfzehn Jahre nicht mehr sonderlich bemüht habe, die mir ureigenste Kärntner Sprache auch tatsächlich zu verwenden. Zu mühsam waren die ständigen Rechtfertigungsnotwendigkeiten für Vorgänge, von denen ich seit vielen Jahren mehrere hundert Kilometer entfernt war. Und seitdem etliche, namhafte Exil-Kärntner, an vorderster Front die vermeintliche Doyenne der österreichischen Journalistenszene, nicht müde wurden, lautstark zu verkünden, dass sie sich schämen, Kärntner Wurzeln zu haben, kannten die unqualifizierten, pauschalen Verbalinjurien, auch als Bashing bekannt, nahezu keine Grenzen mehr. Es ändert jedoch nichts daran, dass ich von „durt“ bin.
Zurück in die Kärntner Heimat
Die nächste Migrationserfahrung ereilte mich dann vor drei Jahren, als ich aufgrund eines familiären Notfalles beschlossen habe, meinen Lebensmittelpunkt, zumindest vorübergehend, wieder in meine alte Heimat zu verlagern. Obwohl ich, wie schon vor meiner ersten Auswanderung, immer noch mit „Dirndle“ angeredet wurde, wurde mir nahezu täglich mitgeteilt, dass ich ja eigentlich schon nimmer von „do“ bin. Und das ist auch sicher richtig. Wenn man sechzig Prozent seiner bisherigen Lebenszeit fernab der Heimat verbringt, ist man mit Sicherheit mehr von „durt“ als von „do“. Und so sehr ich mich in Villach wohl fühle, so fremd erscheint mir dieser Ort auch teilweise. Das jahrzehntelange Leben in der Großstadt hinterlässt Spuren, in die die Beschaulichkeit der Kleinstadt nicht immer reibungslos einzufügen sind. Das Gefühl der Heimat vermischt sich mit dem der Entwurzelung.
Vor kurzem habe ich mich, sehr unvorhersehbar und doch aus dem schönsten Grund, den es geben kann, wiederum von „durt“ nach „do“ begeben. Diesmal hat es mich in die steirische Landeshauptstadt verschlagen. Und mein Mann, der so wie ich von „durt“, aber doch schon seit dreißig Jahren „do“ ist, und ich haben beschlossen, die nächsten fünfzig Jahre „do“ zu verbringen. Ja, wir haben beschlossen hundert Jahre alt zu werden.
Urbanität am Grazer Stadtrand
Klingt alles sehr logisch und vor allem sehr einfach. Und trotzdem wird man mit Dingen konfrontiert, die man selber als komplett nebensächlich erachtet. Hier am Stadtrand von Graz ist von der Urbanität der steirischen Metropole auf sehr angenehme Art nur mehr wenig zu spüren. Man grüßt sich auf der Straße und binnen kürzester Zeit wird jedes neue Gesicht wahrgenommen. Und wenn man über mehrere Wochen tagtäglich auftaucht, dann wird klar, dass man dauerhafter, als die Gäste am Campingplatz, seine Zelte aufgeschlagen hat. So ist es unlängst vorgekommen, dass ich bei meinen Besorgungen in einem Laden mit den Worten „Sie san oba net von do“ begrüßt wurde. Durchaus freundlich, aber doch auch mit einer gewissen Portion Skepsis. Nein, ich bin von „durt“ und da hilft es auch wenig, wenn ich meine Allgemeinbildung, meine Universitätsabschlüsse, mein Interesse an Hochkultur und mein Liebe zu Kernöl ins Treffen führen würde. Ich bin einfach nicht von „do“. Vielleicht, in fünfzig Jahren …
Die Autorin Susanne Drothler über sich: Vor ungefähr eineinhalb Jahren hat es mich nach Graz verschlagen, der Liebe wegen. Ich denke, es könnte schlimmere Gründe für einen Ortswechsel geben. Und mittlerweile, ist es nicht nur die Liebe zu meinem Mann, sondern auch die Liebe zu dieser Stadt, die das Leben hier für mich so besonders lebenswert macht. Ich lerne die Stadt jeden Tag ein bisschen mehr kennen und dabei kommt mir auch die eine oder andere Begebenheit unter, die mit den Charme dieser Stadt ausmacht. Berührende Momente und solche zum Schmunzeln, die ich festhalten möchte, »Grazer Miniaturen« sozusagen.